Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie selbstverständlich Menschen ihren beruflichen Neustart allein durch Grübeln hinbekommen wollen.

Ich bin seit Jahren unzufrieden mit meinem Jobund ich beschäftige mich schon so lange mit möglichen Alternativen. Aber ich komme einfach nicht weiter! Mir fällt nicht ein, was ich tun könnte. Oder wollte. 

Meine erste Frage ist dann meistens: Was haben Sie denn bisher getan, um auf neue Ideen zu kommen? Wie haben Sie danach gesucht? Und in den meisten Fällen lautet die verdutzte Antwort ungefähr so :

Was hätte ich denn TUN sollen? Ich habe natürlich nachgedacht! Ganze Nächte habe ich schon vergrübelt. Und natürlich rede ich ständig mit allen möglichen Leuten darüber. Glauben Sie nicht, dass ich es mir leicht mache! Aber mir kommt einfach keine gute Idee…

Diesen Ansatz finde ich eher suboptimal. Würden dieselben Menschen eine wichtige, komplexe Aufgabe im Job auf diese Weise zu bewältigen versuchen? Wenn es beispielsweise darum ginge, ein neues Produkt zu entwickeln oder komplizierte Prozesse zu optimieren – würden sie sich Tage und Wochen in ihrem Büro einschließen und ausschließlich nachdenken? Und vielleicht ab und zu mit Kollegen darüber reden? Bis vielleicht irgendwann einmal eine Lösung entsteht?

Das mag bei Wicky, dem Wikinger, funktioniert haben (Die etwas Älteren unter Ihnen werden sich an das nasereibende Gör mit den tollen Einfällen erinnern). Ansonsten ist die Vorstellung doch reichlich absurd, oder?

Viele von uns haben in irgendeiner Form im Job mit Projektarbeit zu tun. Projekte haben einen festen Zeitrahmen und bestehen aus aufeinander aufbauenden Schritten. Anfangs wird meistens versucht, möglichst breit zu denken und über den Tellerrand zu schauen – in der Schlussphase wird die beste Idee im Detail ausgearbeitet und auf den Punkt gebracht. Zwischendurch wird der Kurs gecheckt. Und außerdem ist es nicht ganz ungewöhnlich, Dinge dabei in Schrift und Bild festzuhalten.

Das ist ziemlich banal, oder?

Warum meinen so viele Neuorientierer aber, allein durch Nachdenken auf neue, großartige Ideen zu kommen? Es ist schon merkwürdig. Viele glauben dann, dass ihnen nur noch ausgefeilte und komplizierte Tools helfen können, ihren neuen Job zu finden. Oder der bohrende Psychologenblick, der sofort erkennt, wo sie am besten aufgehoben wären…

Mein schlichter Rat, der mehr mit gesundem Menschenverstand zu tun hat als mit abgefahrenen Coaching-Tools, lautet:

Betrachten Sie Ihre Suche nach beruflichem Neuland doch erst einmal als ein Entwicklungsprojekt! 

Und mit etwas Projektmanagement, ein bisschen Psychologie und einer Prise Kreativität ist das wirklich keine Geheimwissenschaft. Um die Sache zu erleichtern, habe ich die berufliche Neuorientierung (und das gilt genauso für jeden anderen komplexeren Veränderungsprozess) in drei Ebenen unterteilt – der Neuorientierer hat drei Aufgaben zu erledigen, die gleichermaßen wichtig sind und parallel ablaufen:

1. Entwicklung (von Interessen und Wünschen bis zu definierten Job-Projekten)

2. Selbstmanagement (um sich von Blockaden und Ängsten nicht bremsen zu lassen)

3. Planung und Struktur (ohne die wir uns garantiert verheddern und verlaufen)

Teil 1 – der Entwicklungsprozess

Ich habe einige Ideen, was ich beruflich machen könnte. Es würde mir bestimmt liegen, mit Menschen zu arbeiten, gern im sozialen Bereich. Ich kann mir auch vorstellen, in einem großen internationalen Unternehmen angestellt zu sein – vielleicht im Marketing oder auch im PR-Bereich. Oder ich mache mich mit irgendwas selbstständig – das wäre auch möglich. Ich KANN mich nur einfach nicht entscheiden – Entscheidungsfreudigkeit ist nicht gerade meine größte Stärke. Aber ich will endlich etwas anderes tun, deshalb muss sofort eine Entscheidung her.“

So eine Problembeschreibung höre ich mindestens einmal in der Woche. Jemand hat schon eine Weile gegrübelt und einige ungefähre Vorstellungen davon, was er beruflich machen könnte. Und jetzt meint er, sich entscheiden zu müssen. Dabei sieht er aber nicht, dass eine halbwegs vernünftige Entscheidung auf dieser Grundlage überhaupt nicht möglich ist. Denn dafür benötigen wir gut durchdachte und klar definierte Alternativen: Am Tag X, an dem mein Projektplan die Entscheidung über meine berufliche Zukunft vorsieht, müssen alle möglichen beruflichen Wege so gut wie möglich geplant sein – Kosten, Risiken, Bewerbungsstrategien, notwendige Investitionen und Fortbildungen und so weiter. Wie sollte ich sonst eine GUTE Entscheidung treffen?! Logisch, oder?

Darauf zielt der Entwicklungsprozess meines Neuorientierungs-Projekts: Ich muss es schaffen, aus einigen schwammigen Vorstellungen oder Träumen und Neigungen (oder von null Ideen und einem Zustand völliger Ahnungslosigkeit) solche klaren Alternativen zu entwickeln. Das ist ein langer Weg – und ohne ein Konzept verläuft man sich schnell.

Wenn beispielsweise Autohersteller XY ein ganz neues Modell entwickeln möchte, stehen am Anfang bestimmt auch nur viele sehr ungefähre Vorstellungen. Und das ist auch gut so. Denn um auf wirklich neue Ideen zu kommen, brauchen wir vor allem eine Fähigkeit: unsere Kreativität. Und die wiederum braucht viel Raum und die Erlaubnis, in alle Richtungen denken zu dürfen. Nur wer sich traut, auch scheinbar Unsinniges und Un-Denkbares zu denken, wird am Ende mit originellen Lösungen belohnt werden. Bei der Autoentwicklung muss es in der ersten Phase erlaubt sein, auch über ein Mobil mit fünf Rädern oder einem Glasboden nachzudenken… Je größer der Fundus an – auch verrückten – Ideen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Perlen darunter sind. Im Laufe des Entwicklungsprozesses darf und muss der Trichter enger werden: Einige Optionen werden – nach reiflicher Überlegung! – verworfen, andere werden weiterentwickelt bis zu einem Prototypen.

Genauso sollte der Entwicklungsprozess der Neuorientierung verlaufen. Ich empfehle Neuorientierern, die gewillt sind, über ihren Tellerrand zu schauen, mit Ihren Interessen, Träumen und Wünschen zu beginnen und daraus alle möglichen (und unmöglichen) Job-Ideen zu erdenken. Wichtig ist, was jemand TUN möchte – nicht welches Profil am Markt gerade welche Chancen haben mag!

Aus den besten Job-Ideen werden im nächsten Schritt Job-Projekte gemacht: Das bedeutet, dass überlegt wird, wie man die Idee – lukrativ! – realisieren könnte. Die Frage ist nicht, OB man möglicherweise eine Idee umsetzen oder einen Job bekommen kann – sondern WIE man es anstellen müsste, damit es klappt. Dieser Blickwinkel zwingt uns, detaillierte Lösungen und Antworten zu finden. Und wenn die – so gut es irgend geht – gefunden sind, ist die Entscheidung sehr häufig gar nicht mehr so schwer.

Teil 2 – Selbstmanagement

Beim Lesen bis hier konnten einige von Ihnen wahrscheinlich einen Seufzer nicht unterdrücken, der so etwas sagen wollte wie „Wenn es doch so einfach wäre!“.

Ein definiertes Projekt, ein guter Plan und Methoden der kreativen Ideenfindung – würde das ausreichen für den beruflichen Umstieg, würden wohl viel weniger Menschen an einem frustrierenden Job kleben. Und den meisten würde ein Ratgeber ausreichen, der seine Leser mit ein paar guten Rezepten auf die Spur bringt. An solchen Ratgebern und Rezepten herrscht wohl auch kein Mangel; nur bleibt die erfreuliche Wirkung meistens aus.

Menschen, die zu mir ins Coaching kommen, weil sie ihren beruflichen Neustart endlich auf die Reihe bekommen wollen, haben in der Mehrzahl schon diverse Bücher zu Rate gezogen. Viele davon sind bestimmt kluge Anleitungen, die dabei helfen, die Tätigkeit zu finden, die zur Persönlichkeit und den Kompetenzen passt. Wenn man sie wirklich von A bis Z anwendet und den Weg bis zum Ende geht, bzw. das Buch auch wirklich durcharbeitet. Und daran scheitern anscheinend nicht gerade wenige.

Denn auch wenn ich die Veränderung noch so sehr ersehne und ich weiß, dass ich dafür die nötigen Werkzeuge verwenden und jeden Schritt auch wirklich gehen muss – das heißt noch lange nicht, dass ich dies auch tue! Nö. Sehendes Auges lasse ich Dinge lieber schleifen, erledige Arbeitsschritte nur halb oder im Kopf (obwohl ich eigentlich schriftlich arbeiten sollte) oder breche das ganze ab, bevor überhaupt Ergebnisse entstehen können. Oder ich komme tatsächlich auf gute Ideen – und bleibe lieber auf dem Sofa hängen, anstatt rauszugehen und sie umzusetzen.

Warum?

Warum boykottieren wir unseren eigenen Neuorientierungsprozess? Warum wollen wir das eine – und tun das andere? Warum reiten wir tote Pferde, obwohl wir doch wissen, dass sie als Transportmittel nicht mehr allzu viel taugen?

Hätten wir ausschließlich den Wunsch nach Veränderungen in uns, würden wir uns sofort in Bewegung setzen. Dann hätten Sie Besseres zu tun, als in diesem Blog zu lesen. Aber die meisten Menschen haben eben auch noch innere Widerstände gegen das Neue. Und die werden hauptsächlich von Ängsten gespeist. Wir haben Angst zu scheitern, ausgelacht zu werden, nicht gut genug, zu alt oder zu dumm zu sein, unsere Sicherheit zu verlieren und in der Gosse zu landen und so weiter…  Wir haben mit Selbstbildern zu kämpfen, die alles andere als strahlend sind, und viel zu wenig Zutrauen in uns selbst. Und wir glauben gern, dass es sowieso schief gehen wird – auch wenn wir sonst eher zum Optimismus neigen, können wir zu richtigen Schwarzsehern werden, wenn es um unsere eigene Zukunft geht.

All das stellt sich unserem Wunsch nach Veränderung in den Weg. Die wenigsten haben allerdings Freude daran, sich mit ihren inneren Bremsern zu beschäftigen. Viel lieber schauen wir auf unsere Sonnenseite, die jede Veränderung freudig begrüßt und toll findet. Deshalb lesen wir auch lieber Bücher, die uns einreden, dass Neuorientierung ganz leicht ist und ein Riesengaudi. Und wir wollen nur zu gern glauben, dass jeder seinen Traumjob schnell und ohne großen Aufwand findet – wenn man nur die richtige Technik benutzt.

Glauben Sie mir: Ihre inneren Widerstände backen sich ein Ei darauf, dass Sie in Ihrem Job unglücklich sind!

Sie werden nur stärker, wenn wir versuchen, sie zu ignorieren oder mit Druck gegen sie zu arbeiten. Wenn ich innerlich gespalten bin, ist dies ein innerer Konflikt. Wir wissen, dass sich Konflikte selten von allein lösen, indem wir lächelnd an ihnen vorbeisehen. Und je mehr wir versuchen, unsere Energie allein auf unsere Neuorientierung zu konzentrieren, desto eher wird das Ergebnis eine mentale Blockade sein. Die Symptome können dann Verwirrung, Zerrissenheit, emotionale Schwankungen oder Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder sogar körperliche Symptome sein.

Die Konsequenz daraus heißt für mich: Ohne ein gutes Selbstmanagement, also das Einbeziehen aller Anteile, die unser Selbst ausmachen, wird die Luft für eine berufliche Neuorientierung ziemlich dünn – gerade wenn es große und nachhaltige Veränderungen sein sollen. Als psychologisch kluge Selbstmanager sorgen wir dafür, dass wir innerlich gut aufgestellt sind für den Entwicklungsprozess (siehe Teil 1). Inneren Widerständen begegnen wir dann nicht mit Druck, Selbstbeschimpfung oder Ignorieren – sondern wir versuchen, Blockaden aufzulösen und inneren Konflikten Beachtung zu schenken.

Wenn Sie jetzt denken: „Aber das dauert dann doch viel zu lange.“ oder „Ich will einen neuen Job und nicht auf die Couch!“, haben wahrscheinlich gerade Ihre inneren Bremser die Bühne betreten.

Grüßen Sie sie ganz herzlich von mir.

Teil 3 – Planung und Struktur

Als unser eigener Job-Entwickler sorgen wir also dafür, mit kreativen Blick über den Tellerrand neue und gute Ideen für unsere zukünftige Tätigkeit zu entwickeln. Mit dem Hut des Selbstmanagers auf dem Kopf kümmern wir uns darum, motiviert und mit Energie bei der Sache zu sein und mentale Blockaden aus dem Weg zu räumen.

Ich treffe immer wieder Menschen, die ihre berufliche Neuorientierung zwar mit Volldampf, hochmotiviert und sehr kreativ betreiben – aber trotzdem nicht zum Ziel kommen. Obwohl sie viele großartige Ideen haben, was sie alles tun könnten und möchten, werden daraus nie Job-Projekte – also definierte und von allen Seiten durchdachte Alternativen, die prägnant (siehe dazu den 1. Teil) genug sind, um eine Entscheidung zu treffen. 

Das kann daran liegen, dass ständig neue Ideen und Aspekte in den Prozess kommen und alles durcheinanderbringen. Dann wird das Fass immer wieder aufgemacht und der Suchprozess neu gestartet. Anstatt aus einer attraktiven Job-Idee ein Job-Projekt zu machen und auszuarbeiten, taucht ein neuer Gedanke auf – „Ich könnte ja auch XY machen…“ – und wird sofort begeistert verfolgt. Die eben noch interessante Idee wird dafür einfach links liegen gelassen.
Problem: Der Prozess hat keine Struktur.

Andere Menschen stellen sich selbst ein Bein, indem sie nicht darüber nachdenken, wie viel Zeit sie sich überhaupt geben möchten bis zu ihrer Entscheidung. Manche meinen, die Sache in wenigen Wochen abgeschlossen zu haben, sind dann frustriert, weil es nicht klappt, und werfen schlimmstenfalls die Flinte ins Korn. Und andere ziehen ihre Jobsuche über viele Monate oder gar Jahre – und verlieren dabei Überblick und / oder Energie, sodass der Prozess versandet.
Problem: Kein Zeitplan.

Also: Jedes komplexere Projekt braucht klare Strukturen und einen Zeitplan!

– Bevor ich überhaupt mit der Arbeit an meiner Job-Entwicklung starte, muss ich wissen, WIE ich dabei vorgehen möchte. Mit welchen Fragen und Themen will ich beginnen? In welchen Schritten will ich mich bis zur Entscheidung vorarbeiten? In meinem Buch Jetzt mal Butter bei die Fische! empfehle ich, den Prozess in fünf Phasen einzuteilen – von der Standortbestimmung, über die Beschäftigung mit den eigenen Interessen bis zur Entscheidungsfindung.

– Zu den wichtigen Strukturen gehören auch ganz praktische Erwägungen: Mein Projekt braucht zuerst einmal einen Arbeitsplatz. Optimal ist ein Schreibtisch mit einer Pinnwand oder einem Whiteboard, wo meine Arbeits- und Brainstorming-Ergebnisse hängen und liegen können. Fehlt der Platz, ist natürlich auch ein Küchentisch okay – und eine Schrankwand oder Tür kann zur Arbeitsfläche deklariert werden. Wichtig ist, dass das, woran ich gerade arbeite, nicht immer wieder in einer Schublade verschwindet, sondern sichtbar bleiben darf, um mich jederzeit anzuregen und zu beschäftigen.

– An einem Zeitplan kommen wir nicht vorbei. Ich muss mir unbedingt überlegen, wie viel Zeit mir im Alltag für mein Projekt zur Verfügung steht. Sinnvoll ist es, wenn ich mir zwei Termine pro Woche nehme – vielleicht einen ein- bis zweistündigen am Abend eines Wochentages und einen Arbeitsblock am Wochenende. Diese Termine müssen in meinem Zeitplaner geblockt sein! Wenn jemand diese Zeiten aufbringen kann, schlage ich erst einmal pauschal drei Monate für den Prozess bis zur Entscheidung vor. Ich rate jedem Neuorientierer, schon zu Beginn den Tag der Entscheidung festzulegen. Dies ist einerseits ein wichtiger Orientierungspunkt, der dem Projekt genug Rückenwind geben soll. Und er vermindert den Druck, den sich viele Menschen machen, indem sie viel zu früh und viel zu oft von sich selbst die finale Entscheidung verlangen. Und ein Zeitplan verlangt ja nicht, dass dieser auf Biegen und Brechen eingehalten werden muss: Wenn sich herausstellt, dass mehr Zeit als veranschlagt notwendig ist, kann die Entscheidung auch darin bestehen, dafür einen neuen Termin zu setzen. Übrigens sollte mein Zeitplan natürlich gut sichtbar an meinem Arbeitsplatz hängen!

 Nicht jeder reagiert begeistert, wenn ich ihm diese „Struktur-Maßnahmen“ ans Herz lege. Mancher meint, dass Spaß und Kreativität unter solchen Plänen doch arg leiden, und würde lieber einfach loslegen und schauen, wohin der Prozess ihn bringt. Ich habe – nicht zuletzt bei mir selbst – die Erfahrung gemacht, dass durch sinnvolle Pläne und Strukturen erst der Raum geschaffen wird, um kreativ zu sein und auf neue Ideen und Lösungen zu kommen. Es gibt bestimmt Menschen, die im „kreativen Chaos“ erst so richtig aufblühen. Bei den meisten von uns dürfte ein Mangel an Strukturen und Plan aber eher Unsicherheit und damit innere Widerstände verstärken.

Ein guter Plan ist wie ein Geländer, an dem ich mich festhalten und entlang bewegen kann.