„Auch wenn vieles dafür spricht, sich beruflich zu verändern, ist es nicht viel zu riskant, einen sicheren Job aufzugeben?“

Wo es um berufliche Neuorientierung geht, ist diese Frage selten weit – egal ob ich mit veränderungswilligen Menschen oder Journalisten spreche, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Dabei wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass Veränderungen immer unsicherer sind als das Festhalten am Status Quo.

Diese Logik ist nicht so logisch, wie sie auf den ersten Blick vielleicht erscheint.

Klar, berufliche Veränderungen bringen immer Risiken mit sich. Der neu eingeschlagene Weg kann sich als viel weniger attraktiv erweisen, als man es sich vorgestellt hat. Das Unternehmen oder das Team, das sich bei den Bewerbungsgesprächen als sechs Richtige im Lotto darstellte, entpuppt sich hinter den Kulissen schnell als Niete. Oder die erträumte selbstständige Existenz liegt einem viel weniger als erwartet. Kann passieren.

Aber wie sieht es denn mit den Risiken des Status Quo aus? Unser Gehirn neigt generell dazu, die Risiken des Neuen und Unbekannten zu überschätzen – und gleichzeitig zu unterschätzen, was im Vertrauten alles schief gehen kann. Mein „sicherer Job“ ist nämlich nur so lange sicher, wie seine Rahmenbedingungen unverändert bleiben. Eine schlechtere Ertragslage, die nächste Umstrukturierung oder ein neuer Kopf in der Hierarchie über mir – und schon habe ich ein Date mit der netten Outplacement-Beraterin!

Mancher meint, dass seine jahrelange Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber Schutz und Sicherheit bedeutet. Aber welches Unternehmen kann seinen Leuten denn heute noch – ehrlich – langfristige Versprechungen machen? Und wenn es tatsächlich zu Kündigungen kommt, ist es doch eine Illusion zu glauben, dass man eher an den „altgedienten“ Mitarbeitern festhält. Jemand, der seinen Job seit Ewigkeiten mehr oder weniger unverändert macht, steht selten hoch im Kurs, wenn der Wind sich dreht!

Festhalten ist heute einfach keine Option mehr. Wer aus Angst vor Risiken die Veränderung scheut, entwickelt nämlich eine wichtige Kompetenz nicht: die Fähigkeit, sich und seine Karriere selbst zu managen, sich Ziele zu stecken und seine beruflichen Entscheidungen daran zu orientieren. Wer sich neu orientiert, weil seine Ziele, Interessen und Werte dies verlangen, und damit einmal stolpert, wird ganz sicher wieder aufstehen und sich den nächsten Job suchen – weil er weiß, wie es geht, und er sich sicher ist, dass er es kann! Er entwickelt auf diese Weise – psychologisch gesehen – seine Selbstwirksamkeit. Der Risikovermeider verstärkt dagegen nur seinen Glauben, dass es nicht geht und er es nicht kann.

Als Coach kann ich nur empfehlen: In dynamischen, unsicheren Zeiten ist es klug, schwimmen zu lernen – und nicht seine Technik des Am-Beckenrand-Festhaltens zu perfektionieren…